Pubertät, Sexualität und Identitätsfindung im Internet
Die Zeit der Pubertät ist ein von vielen Erwachsenen gefürchteter Entwicklungsabschnitt Heranwachsender. Eltern ärgern sich über Unzuverlässigkeit, Launenhaftigkeit und Streits. Lehrer*innen finden, dass Jugendliche sich für ganz vieles interessieren, aber nicht für den aktuellen Schulstoff. Und außerdem – das finden fast alle – verbringen die Jugendlichen viel zu viel Zeit mit ihren Smartphones und Tablets im Internet. Und das scheint Gefahren mit sich zu bringen.
Wenn man die Perspektive wechselt, sieht man, dass Jugendliche es in der Pubertät auch nicht gerade leicht haben. Auch für sie verändert sich eine ganze Menge, und sie müssen etliche Entwicklungsaufgaben bewältigen. Im Folgenden wird versucht anhand dieser Entwicklungsaufgaben zu beschreiben, was Jugendliche im Netz tun, insbesondere in sozialen Netzwerken, anschließend werden einige möglicherweise auftauchende Probleme benannt.
Welche Netzwerke von Jugendlichen wie häufig genutzt werden und wie sie funktionieren, zeigt ein empfehlenswerter, knapper Überblick bei Safer Internet.
Jugendliche bewältigen einen großen Teil ihrer Entwicklungsaufgaben in sozialen Netzwerken
Die zentrale These der Verfasser*innen lautet, dass Jugendliche heute viele Entwicklungsaufgaben in sozialen Netzwerken bewältigen.
Ablösung von der Herkunftsfamilie
Jugendliche sollen allmählich vom elterlichen Einfluss immer unabhängiger werden. Früher hatten Eltern noch einen gewissen Einblick in die Aktivitäten ihrer Sprösslinge: Wer holt wen ab, in welchem Verein oder welcher Jugendgruppe ist mein Kind aktiv, zu wem geht es auf Partys etc.? Um sich dem elterlichen Einfluss ein Stück weit zu entziehen, mussten Jugendliche früher in aller Regel den elterlichen Haushalt verlassen. Heute reicht es, sich in online-communities wie Instagram, Tellonym oder Snapchat zu tummeln, von denen viele Eltern gar nicht wissen, dass es diese gibt bzw. wie sie funktionieren. Während viele Eltern bei facebook durchaus aktiv sind, ist ihnen oft nicht klar, dass das für ihre Jugendlichen nicht mehr so spannend ist. Sich in digitalen sozialen Räumen zu bewegen, in denen die eigenen Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auftauchen werden, hat schon einen großen Reiz für sich und ist für die Abgrenzung durchaus hilfreich.
Neue bzw. andere Beziehungen zu Peers aufbauen
In sozialen Netzwerken können Jugendliche intime Details mit besten Freund*innen besprechen oder über andere Jugendliche, Eltern und Lehrer*innen lästern. Vieles davon wurde früher mittels der berühmt-berüchtigten Endlostelefonate bewältigt, bei denen das – meist viel zu kurze – Telefonkabel – vom Anschluss im Flur – mit Gewalt unter der Türschwelle des eigenen Zimmers eingequetscht wurde, um etwas Privatsphäre herzustellen.
Wenn man anderen auf ihren Profilen folgt, kann man Einblicke in deren Leben bekommen: in ihren Lifestyle, ihre Interessen, Hobbys…und nicht zuletzt in ihre Beziehungen. Man kann auch verfolgen, wie es mit angefangenen Projekten oder Vorhaben weitergeht. Es ist möglich, Menschen zu kontaktieren, die man aus den Augen verloren hatte, und manchmal verbessern sich auch Fremdsprachenkenntnisse durch die Kommunikation im Netz.
Wenn es etwa einen Klassenchat bei Whats-App gibt, hat man oder frau automatisch viele Handynummern zur Verfügung, nach denen man die Besitzer*in vielleicht nicht so einfach gefragt hätte. In schriftlicher Form kann man dann Fragen stellen, die man sich im direkten – analogen – Kontakt nicht zu stellen wagen würde, z.B.: Ich hab so schrecklichen Liebeskummer, hast du einen Tipp für mich? Du kennst doch die oder den, glaubst du, ich kann den mal ansprechen? Du hast heut in dem neuen xxx total schön ausgeschaut. Das unverfängliche, risikolose Annähern durch Textmessages kann sich so über eine lange Zeit hinziehen, bis man mehr Klarheit darüber gewonnen hat, ob man vielleicht auch in der analogen Welt intensiveren Kontakt miteinander haben möchte. Nicht nur die Kommunikation, wenn es um den Themenkomplex Verliebt sein/Liebe geht, sondern auch der platonisch-freundschaftlicher Umgang zwischen Jungen und Mädchen kann in den digitalen Welten einfacher und entspannter als von Angesicht zu Angesicht sein. Denn manches lässt sich eben einfach leichter schreiben als sagen.
Auseinandersetzung mit (eigenen) körperlichen Veränderungen
Wer bin ich? Wie will ich sein? Wie wirke ich auf andere? Konnten solche Fragen früher nur im unmittelbaren analogen Kontakt geklärt werden, so bietet sich heute eine riesige Vielfalt an Möglichkeiten, Bekanntmachungen und Selbstinszenierungen. Die Autoren*innen, die in prä-digitalen Zeiten „Effektive Nutzung des Körpers“ als eine Entwicklungsaufgabe angaben, würden sich wundern, wie wörtlich die Jugendlichen sie heute nehmen. Ob Jungs sich mit muskulösem Oberkörper, Mädchen mit perfekt fürs Foto geschminkten Gesichtern präsentieren, ob nicht so Schlanke andere vorteilhafte Aspekte in den Vordergrund rücken – Selbstinszenierung ist ein zentrales Thema. Zudem kann man sich vielen anderen Menschen, die einen nicht aus dem näheren sozialen Umfeld kennen, von seiner besten Seite zeigen. Jugendliche wissen ganz genau, dass sich auch andere in besonders vorteilhaften Posen inszenieren, dass Filter genutzt werden, dass Bilder sorgfältig ausgewählt und bearbeitet werden. Kaum eine/r glaubt noch, dass die anderen genauso attraktiv aussehen wie auf den Fotos, die sie auf Instagram gestellt haben. Zu große Hoffnungen und Erwartungshaltungen gibt es allerdings manchmal trotzdem.
Auseinandersetzung der eigenen sexuellen Identität und mit Geschlechterrollen
Auch wenn in facebook und anderen Netzwerken inzwischen eine große Vielfalt von Identitäten und Geschlechterrollen angeboten wird, denen man sich zuordnen kann, inszenieren sich die meisten Jugendlichen in klassischen Geschlechterrollen. Mädchen präsentieren sich geschminkt, mit perfekten Frisuren, setzen sich mit trendigen Sonnenbrillen und andere Accessoires gekonnt in Szene und wollen sexy – aber nicht zu sexy – wirken. Bei Jungen geht es etwas weniger um Schönheit, dafür umso mehr um Fitness und Coolness. Wer sich mühsam im Fitnessstudio einen Waschbrettbauch erarbeitet hat, möchte diesen schließlich auch zeigen.
Von einer Lockerung allzu strengen Geschlechterrollen-Vorgaben ist bei den allermeisten Bildern und Selbstinszenierungen Jugendlicher im Netz wenig zu spüren. Ein wichtiger Grund dafür ist der Wunsch, auf andere attraktiv wirken zu wollen. Und das ist Heranwachsenden wichtiger als eine kritische Auseinandersetzung mit stereotypen sozialen Geschlechterrollenvorstellungen. Natürlich gibt es auch Jugendliche, die gängige Schönheits- und Coolness-Klischees ablehnen. Aber es braucht viel Mut, sich anders zu präsentieren als die Meisten. Im Netz gibt es Nischen für Personen mit den verschiedensten Präferenzen, aber diese Angebote müssen von den Heranwachsenden erst gefunden werden. Auch möchte, wer sich „anders“ als die Meisten zeigen möchte bzw. sich anders fühlt als die Majorität, sich nicht immer in einer Ecke verstecken. Jugendliche können natürlich der Herausforderung aus dem Weg gehen und sich gar nicht erst in sozialen Netzwerken anmelden. Aber damit stellen sie sich möglicherweise schnell selbst ins soziale Abseits.
Wer merkt, dass er oder sie sich eher zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt oder wer sich mit der geschlechtlichen Identität, die einem zugeschrieben wurde und wird, nicht wohl fühlt, hat es einerseits etwas leichter als vor zwanzig Jahren. Im Internet findet man Begriffe für das eigene „fremde“ Gefühl oder für ein anderes Begehren als es die Freunde*innen haben. Nach Wörtern wie „lesbisch“, „schwul“ oder „trans“ und deren Bedeutung abseits von Schimpfwörtern musste man früher oft jahrelang suchen. Heute bekommt man schneller eine Vorstellung davon, dass man nicht der oder die einzige auf der Welt ist, die/der anders ist als scheinbar alle anderen. Das heißt andererseits aber nicht, dass man im Netz schnell und einfach Gleichgesinnte findet, die in der Nähe zu Hause sind. Die meisten Angebote im Netz sind eher auf Erwachsene ausgerichtet, seien es Dating-Portale oder Pornoseiten. Jugendliche, die in großen Städten wohnen, haben einen großen Vorteil. Dort gibt es Jugendzentren oder zumindest Jugendgruppen vor Ort, deren Chat-, Informations-, Gesprächs-, Beratungs-, Freizeitangebote usw. man im Netz finden kann und die als Zielgruppe explizit auch Heranwachsende ansprechen möchten, die sich z.B. nicht als eindeutig heterosexuell orientiert erleben.
Aufnahme erster intimer Beziehungen und Entwicklung von Vorstellungen über künftige Partnerschaften
Erste intime Beziehungen werden oft nicht primär über digitale soziale Netzwerke angebahnt. Eher lernt man jemandem im „real life“ kennen und sucht Informationen über diese Person dann bei Instagram, um mehr über sie zu erfahren. Beziehungen werden in den Netzwerken also eher aufrechterhalten, gepflegt und bekanntgegeben. Man kann sich gegenseitig Fotos (auch erotische) schicken, man kann bei einer längeren Trennung Kontakt halten und den oder die andere auf diese Weise am eigenen Leben teilhaben lassen. Vor allem aber kann man Dritte über den eigenen Beziehungsstatus informieren.
Was kann beim Agieren in sozialen Netzwerken passieren? Nebenwirkungen?!
Transparenz, Kontrolle, Überwachung
Das Handy ist immer dabei. Das bedeutet, dass Kontrolle auf den verschiedensten Ebenen möglich ist. Beziehungen können kaum noch unbeobachtet angebahnt werden. Und wenn sich eine Beziehung etabliert hat, wird vielleicht ständig nachgefragt: „Was hast du grade an? Schick mal ´n Pic!“ „Wo bist Du? Zeig!“ Das muss dann dem eifersüchtigen Freund/der eifersüchtigen Freundin mit aktuellem Foto (inklusive Straßenschild oder eindeutig verortbarem Shop) dokumentiert werden. Es kann auch vorkommen, dass als Beweis für die Liebe und Treue oder für die tatsächliche Beendigung einer Beziehung eingefordert wird: „Gib mir dein Instagram-Passwort!“.
Auch innerhalb von Freundschaften kann es Ärger geben. Wenn etwa zwei befreundete Mädchen, einander auf WhatsApp viel Persönliches anvertrauen, sich dann aber irgendwann so heftig streiten, dass die Freundschaft in die Brüche geht. Wenn in der Folge dann anderen Jugendlichen Chatverläufe gezeigt werden, ist das ein „Verrat“, der nicht leicht rückgängig zu machen ist und weitere Intrigen nach sich ziehen kann.
Diskreditierbarkeit
Jugendliche sind während der Pubertät besonders verletzbar, z.B. wenn jemand abfällige Kommentare über ihren Körper und/oder ihr Verhalten macht: „Du kannst nicht tanzen!“ „In dem Teil schaust Du echt fett aus!“ „So einen Lauch wie dich will eh keine!“ Solche Kommentare werden nicht mehr nur von Umstehenden gehört, sondern können in Netzwerken von allen anderen in der Schule, in der Stadt, letztlich überall auf der Welt gelesen werden und bleiben lange erhalten. Das gleiche gilt für peinliche (Party-) Fotos.
Auch der gute Ruf kann auf dem Spiel stehen. Mädchen müssen oft eine Gratwanderung vollziehen. Einerseits sollen bzw. wollen sie sexy und attraktiv wirken, aber wenn sie sich zu sexy darstellen, ist die Gefahr groß, als Schlampe oder „fame-geile Bitch“ diffamiert zu werden. Bei den Jungen sind die Spielräume etwas größer, aber für sie kann es bedrohlich werden, wenn sie in den Verdacht geraten, schwul zu sein. Allgemein gilt: Wer beliebt ist, kann sich mehr Abweichungen erlauben; wer eine Außenseiterposition einnimmt, wird besonders heftig attackiert, wenn er/sie eine Angriffsfläche bietet. Gerüchte machen sofort die Runde, die betroffenen Jugendlichen können sich kaum entziehen, auch das Kinderzimmer stellt keinen Schutzraum mehr dar. Angriffe und Beleidigungen dringen über Smartphone und Tablet dort ein.
Ärger mit Nacktbildern und Sexbildern
Unter Sexting wird im deutschen Sprachraum in erster Linie das einvernehmliche Versenden von selbstproduzierten erotischen Fotos oder Nacktfotos im Netz verstanden. Während Sexting im öffentlichen Diskurs in Bezug auf Jugendliche sehr häufig thematisiert wird, wird es jedoch von den Jugendlichen seltener praktiziert als allgemein angenommen. Wenn Jugendliche sich in gegenseitigem Einvernehmen Nacktfotos schicken, ist das an sich zunächst weder moralisch verwerflich noch strafrechtlich relevant. Schwierig wird es dann, wenn die Fotos unerlaubt weitergegeben werden – erst dann liegt eine Straftat vor, sollte der Versender/die Versenderin strafmündig sein, also 14 Jahre oder älter. Die Folgen für die betroffenen Jugendlichen – und das sind mehr Mädchen als Jungen –, wenn solche Fotos die Runde machen, die ganze Schule dann eine Mitschülerin/einen Mitschüler nackt sehen kann, sind oft dramatisch. Unabhängig davon, ob der/die Versender bereits strafmündig ist/sind oder nicht. Besonders wichtig ist es dann auch, kein „Victim Blaming“ zuzulassen, also das Opfer für die Vorgänge verantwortlich zu machen. Es wird dann zum zweiten Mal zum Opfer (= sekundäre Victimisierung). Nicht diejenige Person, die einer anderen gutgläubig ein Nacktfoto von sich gesandt und sich auf die zugesicherte Vertraulichkeit verlassen hat, trägt die Verantwortung dafür, dass die Vertrauensperson das Vertrauen gebrochen hat, sondern diese Person und alle weiteren, die das Foto weitergegeben haben. Negative Konsequenzen muss das unerlaubte Veröffentlichen des Nacktfotos für diese Personen haben, nicht für das Opfer. Entsprechende Maßnahmen (siehe auch das Fallbeispiel/Link!) werden jedoch nicht immer in der Schule in die Wege geleitet. Oft fehlt den Jugendlichen das notwendige Problembewusstsein: Immer wieder werden Nacktbilder an andere versandt, um diese auf sehr direkte Art „anzuflirten“ oder auch um Empfänger*innen zu blamieren oder zu beschämen, z.B. mit Penisbildern, sog. „dick pics“.
Von Sexting klar zu unterscheiden ist, wenn jemand zum Herstellen von Nacktbildern gedrängt wurde und anschließend mit diesen erpresst wird. In solchen Fällen spricht man von „Sextortion“.
Der mediale Erregungssturm über den Pornografie-Konsum von Jugendlichen ist wieder abgeflacht, nachdem sich gezeigt hat, dass im Internetzeitalter keine moralisch verwahrloste „Generation Porno“ herangewachsen ist. Nachgewiesen werden konnte, dass deutsche Jugendliche weder immer früher sexuelle Erfahrungen machen, noch schlechter oder unzuverlässiger verhüten als frühere Generationen. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Forschung dazu, ob sich einfach verfügbare Pornografie auf die „love scripts“, Einstellungen und Ideen Jugendlicher auswirkt, ist methodisch sehr schwierig durchzuführen und befindet sich erst in den Anfängen. Aktuelle Studien deuten tendenziell eher auf einen reflektierten Umgang älterer Jugendlicher mit Pornografie hin.
Dazu siehe z.B.: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hg.): Jugendsexualität im Internetzeitalter. Eine qualitative Studie zu sozialen und sexuellen Beziehungen Jugendlicher
Auf jeden Fall sollte das Thema Pornografie in der sexualpädagogischen Arbeit nicht ausgespart werden. Die Herangehensweise sollte dabei immer behutsam sein und die Schamgrenzen der Jugendlichen nie verletzen.
Viele Hintergrundinformationen und konkrete pädagogische Anregungen dazu bietet die Arbeitsmappe „Let‘s talk about Porno. Arbeitsmaterialien für Schule und Jugendarbeit“ von Klicksafe.
Link zur Arbeitsmappe (download)
Jugendliche sollten unbedingt über die Rechtslage informiert werden:
Auch, wenn Pornografie nicht für unter 18-jährige bestimmt ist, ist es nicht strafbar, sich selbst als Minderjährige/r Pornobilder im Netz zu suchen und anzusehen. Allerdings macht sich sehr wohl strafbar, wer Minderjährigen Pornografie verschafft oder ihnen den Zugang dazu ermöglicht. Strafbar machen können sich somit auch 14- bis 17-jährige, die anderen unter 18-jährigen pornografische Darstellungen senden oder Links weiterleiten, denn mit 14 Jahren werden Jugendliche strafmündig.
Was können Eltern und Lehrer*innen tun?
Der erste Schritt für viele Eltern ist, sich darüber zu informieren, welchen Stellenwert digitale soziale Netzwerke im Leben ihrer Kinder einnehmen. Erst dann können sie die große Relevanz nachvollziehen, die digitale Medien für das Leben der meisten Jugendlichen haben. Es kann z.B. sehr hilfreich sein, wenn sie sich von Dreizehn- oder Vierzehnjährigen zeigen und erklären lassen, welche Plattform sie nutzen, wie diese funktioniert und welche Aktivitäten sie dort entwickeln. Die nächste wichtige Frage ist, mit welchen Personen das eigene Kind in welchem Netzwerk Kontakt hat bzw. befreundet ist. Schließlich fragen Eltern das ja auch in Bezug auf die Personen in der analogen Welt, mit denen ihr Kind Umgang hat.
Dazu siehe z.B.:
„Wo ist Klaus?“ (Spot von klicksafe)
Nur informierte Eltern können ihre Kinder auf mögliche Gefahren in der digitalen Welt hinweisen. Das gilt z.B. auch in Hinblick auf abwertende, verletzende Kommentare von anderen Kindern oder Jugendlichen, die teils auch anonym oder über fake-accounts versandt werden. Wenn Heranwachsende darauf vorbereitet sind, dass sie zum Opfer solcher Kommentare werden können, ermöglicht es ihnen eher die Situation zu bewältigen und sich gegebenenfalls rechtzeitig kompetente Hilfe zu suchen. Eltern und Lehrkräfte sollten den Heranwachsenden vermitteln „Wenn irgendwas passiert, das dich belastet, kannst Du immer zu mir kommen“. Selbst wenn Jugendliche das Angebot nicht oft annehmen, so stellt die Gewissheit, im Notfall immer einen Gesprächspartner zu haben, einen großen Rückhalt für sie dar.
Wenn Jugendliche damit argumentieren, ihre Chats seien ebenso ihre Privatsache wie ein Tagebuch, und Eltern dürften deshalb nicht wissen, was in diesen festgehalten bzw. zum Ausdruck gebracht wird, sollten Eltern gerade bei Jüngeren besonders aufmerksam sein. Ein Tagebuch wird von einer Person alleine genutzt, es gibt keine Gesprächspartner, kein Publikum. Es ist ein Medium das maximale Vertraulichkeit ermöglicht. Das Wesen digitaler sozialer Netzwerke ist es aber gerade, Bilder und Informationen mit (möglichst) vielen zu teilen. Ganz zu schweigen davon, dass die Betreiber der Plattformen mitlesen können, was die Nutzer schreiben bzw. sehen können, was diese ins Netz stellen. In diesen Medien gibt es keine Privatsphäre. Wenn Jugendliche den Vergleich zum Tagebuch herstellen, sollte man sie darauf hinweisen, dass ihre Aktivitäten in den Netzwerken eher damit zu vergleichen sind, dass sie im Fernsehen auftreten und die Eltern die einzigen sind, die nicht wissen, was dort zu hören und zu sehen ist.
Auch über Wirkungen, die Bilder erzeugen können, sollte mit Jugendlichen gesprochen werden. Fragen, die man ihnen dabei stellen könnte, sind: „Hast Du Ideen dazu, welche Vorstellungen sich andere von dir machen, wenn Du dieses Foto postest?“ Was meinst Du, bei wem Du mit diesem Foto besondere Aufmerksamkeit erregen könntest?“ 14-jährige sind in der Regel noch deutlich von der Aufgabe überfordert, Profis in der Öffentlichkeitsarbeit zu sein. Denn nichts anderes stellt das Agieren in sozialen Netzwerken dar. Die Nutzer sind nicht nur Empfänger, sondern auch Sender von Nachrichten und die Zuhörer- und Zuschauergemeinde kann sehr schnell sehr groß werden. Das Thema kann sehr gut im Unterricht bearbeitet werden ohne in die Privatsphäre der Jugendlichen einzudringen zu müssen bzw. ihnen zu nahe zu treten, indem das Themengebiet „Öffentlichkeitsarbeit – digitale Medien“ als eine Herausforderung angegangen wird, die jeder Nutzer bewältigen muss, unabhängig vom Alter.
Lehrer*innen sollten sich bewusst sein, dass vieles, was zwischen Schülern geschieht, im Schulalltag unsichtbar bleibt, da die Interaktionen in der digitalen Welt vonstattengehen. Dynamiken – z.B. in Chatgruppen – entwickeln sich darüber hinaus oft auch wesentlich schneller und intensiver, als in Peer-Gruppen in der analogen Welt. Wenn Lehrkräfte große Unruhe und gehäufte Konflikte in der Klasse wahrnehmen, können sie die Klasse, einzelne Gruppe oder einzelne Schüler*innen durchaus fragen, ob vielleicht gerade etwas Besonderes im Klassenchat geschieht, z.B. ob es gerade Stress oder Ärger gibt. Sie sollten sagen, dass sie wissen, dass Jugendliche viele Möglichkeiten haben, Auseinandersetzungen verdeckt zu führen, aber dass sie sich einschalten werden, wenn sie den Verdacht haben, dass ein/eine Mitschüler*in in einer Chatgruppe gemobbt wird. Wichtig dabei ist es, deutlich darzulegen, dass das Mobben Konsequenzen nach sich ziehen wird, sei es die Benachrichtigung der Eltern, ein Schulverweis oder auch das Einschalten der Polizei.
Mehr zum Umgang mit Cybermobbing finden Sie im Lehrerhandbuch von klicksafe.
Insbesondere, wenn Jugendliche ab 13 oder 14 Jahren sich intensiver in digitalen sozialen Netzwerken zu bewegen beginnen, sollte dies ein Thema im Unterricht sein. 16-jährige sind meist schon kompetenter im Netz unterwegs, sie können, aufgrund ihres Entwicklungsstandes Gefahren besser einschätzen, sie agieren vielleicht auch deshalb umsichtiger, weil sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben und manche Plattform verliert für sie immer mehr an Anziehungskraft, die sie für den/die 13-jährige/n hatte.
Sebastian Kempf und Daniela Huber (Sexualpädagogisches Team der pro familia München)