Kinder brauchen Liebe, Vertrauen, Zugewandtheit, Wertschätzung und Schutz. Die meisten Kinder erfahren dies in der Familie, im Kindergarten und in der Schule, in ihrem gesamten sozialen Nahraum. Viele Kinder werden aber auch ausgenutzt, ausgebeutet, klein gehalten und/oder erfahren sexuelle Gewalt. Sie sind in ihrer Lebenswelt oft einer Gleichgül­tigkeit ausgesetzt, die bis zur offenen Kinderfeindlichkeit reicht.

 

Die Schule kann hier ein Gegengewicht setzen und durch präventives Handeln einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Gesamterziehung leisten: „Eine Kultur des Hinsehens und Hinhörens muss Teil des Lebens und Lernens in der Schule sein“ (Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen und schulnahen Einrichtungen vom 20.4.2010, Seite 2).

Kinder sollen sich durch eine wachstums- und entfaltungsorientierte Pädagogik („enrichment“, „enlargement“, „empowerment“) zu seelisch gesunden Persönlichkeiten entwickeln können. Seelisch gesunde Kinder zeichnen sich unter anderem auch dadurch aus, dass sie auf ihre eigenen Bedürfnisse hinweisen und sich gegen schädigende Einflüsse abgrenzen können. Die (primäre) Prävention von sexueller Gewalt setzt in erster Linie auf solch allgemeine Aspekte der Entwicklungsförderung.

 

Widerstandsfähige Kinder sind weniger gefährdet, Opfer von (sexueller) Gewalt zu werden.

 

 

(Primäre) Prävention bedeutet daher:

  • Mädchen und Jungen mit Achtung und Respekt zu begegnen und sie in ihrer Vollwertigkeit anzuerkennen. Eine ressourcenorientierte Sichtweise der Kinder hilft, ihnen ein Bewusstsein für ihre Stärken und Fähigkeiten zu vermitteln und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
  • Mädchen und Jungen darin zu fördern, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, den Gefühlen zu trauen und sie ausdrücken zu lernen. Das Gefühl, eigene Gefühle und Bedürfnisse selbst regulieren zu können, stärkt das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeit der Kinder.
  • Kindern zu vermitteln, dass sie Rechte haben, z. B. keinen unbedingten Gehorsam leisten zu müssen und auch Erwachsenen Grenzen setzen zu dürfen. Kinder haben das Recht, sich Hilfe zu holen, sollten die betref­fenden Erwachsenen das NEIN der Kinder nicht akzeptieren oder eine Atmosphäre der Angst entstehen lassen.
  • Kindern bewusst machen, dass sie das Recht auf selbstbestimmten Körperkontakt haben.
  • Dass Personen, die mit Kindern arbeiten, in der Lage sind, geschlechterspezifische Erziehungspraktiken zu hinterfragen und keine unangemessenen Rollenstereotype tradieren, wie z.B. "Mädchen sind immer lieb und hilfsbereit. Sie sagen nie Nein, wenn jemand etwas von ihnen wünscht." "Jungen müssen Draufgänger sein, sie fragen nicht lange danach, ob etwas anderen angenehm ist." "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." 

 

In der Erziehung ist darauf zu achten, dass Kinder Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit entwickeln zu können.

 

 

Gerade Mädchen sind besonders zu ermu­tigen, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen (nicht nur die der anderen zu verstehen) und sich gegebenenfalls entschieden gegen Übergriffe anderer zu behaupten.

Jungen brauchen Raum, um auch vermeintlich unmännliche Gefühle wie Angst oder Hilflosigkeit zeigen zu dürfen. Manche Jungen benö­tigen besondere Unterstützung dabei, sich in andere hineinversetzen und Grenzsetzungen akzeptieren zu können. Die „Dekonstruktion“ von Gewaltverläufen hilft, Kindern zu entschlüsseln, dass Aggression kein Zeichen von Stärke, sondern von Hilflosigkeit ist. Zu vermeintlich „schwachen“ Gefühlen zu stehen und diese ausdrücken zu können, ist hingegen als Zeichen von Souveränität und (charakterlicher) Stärke zu werten.

Beispiel: Bei der Klärung eines körperlichen Konfliktes zwischen Jungen auf dem Pausenhof hilft die Lehrkraft dabei den genauen Verlauf nachzuzeichnen, die Handlungsmotive der Beteiligten herauszufinden und begleitende Gefühle benennen zu lassen (Dekonstruktion).

Alle Maßnahmen, die dazu dienen, zu verhindern, dass Kinder in se­xuelle Übergriffe verwickelt werden, können als Prävention bezeich­net werden. In der pädagogischen Arbeit ist zudem darauf zu achten, der Entstehung einer negativen Bewertung von Sexualität entgegenzuwirken. Prävention ist die Aufgabe aller, die mit der Erziehung von Kindern betraut sind. Entscheidend für die erfolgreiche Prävention von sexueller Gewalt gegen Kinder ist:

  • eine überzeugte und gleichberechtigte Er­ziehung sowie
  • eine altersangemessene Sexualerziehung in Familie, Kindergarten, Schule sowie außer­schulischer Jugendarbeit.
  • spezifische Präventionsmaßnahmen sollen nach Möglichkeit in geschlechtshomogenen Gruppen (und idealerweise durch Pädagogen des gleichen Geschlechts) durchgeführt werden.

Die möglichst gute Vernetzung der an der Erziehung Beteiligten stellt ein wirksames Mittel gegen die Entstehung von „blinden Flecken“ und „Tabu-Räumen“ dar, in denen (sexuelle) Gewalt gedeihen kann.

Zweifellos gibt es Kinder, die nicht gerne über sich selbst reden. Nur Kinder jedoch, die (im vertrauensvollen Rahmen) über sich, über eigene Ängste und Sorgen berichten können, sind vor Übergriffen anderer geschützt. Jugendliche oder Erwachsene von denen sexuelle Gewalt ausgeht, nutzen oft geschickt eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst. Eine stabile Sicherheit hängt für Heranwachsende daher in hohem Maße von der immer wieder klar ausgesprochenen, nachprüfbaren und verbindlichen Haltung seiner Eltern und ande­rer wichtiger Bezugspersonen ab. Sie alle sind gefordert, das Recht auf Würde, auf Selbstbestimmung und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes zu achten.

Diese Eindeutigkeit und Verbindlichkeit der Eltern und Verwandten, der Bekannten und Freunde, aber auch der Lehrkräfte vermitteln dem Kind das Bewusstsein dafür, dass es mit seinen Empfin­dungen und Gefühlen, seinen Hoffnungen und Ängsten vor allem dann nicht alleine steht, wenn eine Situation bedenklich wird oder das Kind bedrückt. Kinder müssen sicher sein, dass ihre Wahrnehmungen und Gefühle akzeptiert werden und dürfen keine Angst vor Ablehnung haben, andernfalls werden sie sich schwer tun, über Erfahrungen und Vorfälle zu sprechen, die uneindeutig und bedrohlich waren oder sie mit einem Gefühl eigener Schuld oder Fehlverhaltens zurückliessen. Vorbeugung baut auf der Überzeugung auf, dass nicht das Kind verantwortlich ist für seine Unversehrtheit, sondern seine Umgebung.