Kriseninterventionen und Behandlungen nach erfolgter sexueller Gewalt sind nicht Aufgabe von Lehrkräften. Zu dem Rahmen beizutragen, in dem eine Aufarbeitung gelingen kann, schon. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es zu sexuellen Übergriffen innerhalb der Schule gekommen ist.

 

Besondere Bedeutung hat hier, dafür zu sorgen, dass es nicht zu sozialem Ausschluss, zur Stigmatisierung von Opfern oder zu Prozessen „sekundärer Viktimisierung“ kommt. Opfer dürfen nicht im Nachhinein zu Opfern ihrer sozialen Umgebung werden, indem sie selbst dafür verantwortlich gemacht werden, zur Entstehung der sexuellen Gewalt beigetragen zu haben.

 

Tertiäre Prävention bedeutet aber auch, Opfern von sexueller Gewalt dabei zu helfen, für sich einen gesunden Weg zu finden, wem sie wie viel über die Vorkommnisse erzählen wollen. Eine gesunde Offenheit im Umgang mit diesem Thema hilft, angemessene Distanz zu wahren. Opfer können dieses Empfinden verloren haben und sich entweder zu stark zurückziehen oder aber zu freizügig über Vorfälle berichten.

 

Konkrete Prävention im Schulalltag

Was kann konkret getan werden, um im Schulalltag zu fördern, dass Kinder und Jugendliche widerstandsfähiger werden gegen sexuelle Übergriffe und Gewalt? Das Prinzip „Stärken zu stärken", um die „Schwächen zu schwächen" soll verdeutlichen, dass eine ressourcen- statt defizitorientierte Sicht auf unsere Kinder das zentrale Element darstellt. Die Fähigkeiten des Heranwachsenden werden dabei fokussiert und ihm bewusst gemacht. Kinder, deren Stärken gezielt gefördert und herausgestellt werden, erleben sich als in ihrer gesamten Persönlichkeit gesehen und angenommen. Sie können ein positives Selbstbild entwickeln. Folgende Empfehlungen sollen helfen, diese Entwicklungen zu ermöglichen:

 

  • Leiten Sie ihre Schüler an, sich in ihrer Persönlichkeit zu entfalten („diversity") und auch andere in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Anderssein zu akzeptieren („ich bin OK, du bist OK").
  • In der Regulierung eigener Bedürfnisse sollten sich Kinder als selbstwirksam erleben können und diese eigenverantwortlich steuern.
  • Gestalten Sie die Lebensumwelt der Schüler so, dass sie von Offenheit sowie Verbindlichkeit der Beziehungsgefüge (Lehrer-Schüler; Schüler-Schüler) geprägt ist.
  • Zeigen Sie sich als Lehrkraft vertrauenswürdig, wertschätzend und transparent in ihrem Denken und Handeln.
  • Vermitteln Sie unbedingte Akzeptanz der Gefühle und Bedürfnisse Ihrer Schüler, selbst wenn diese von Ihren Erwartungen abweichen.
  • Zeigen Sie Ihren Schülern, dass Sie sie als eigenverantwortliche und selbstbestimmte Personen wahrnehmen.
  • Kinder sollen wissen, dass sie sich jederzeit an Lehrer wenden können, wenn sie etwas bedrückt. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich im Gespräch Klarheit über ihre Gedanken und Gefühle, über ihre Sorgen und Ängste zu verschaffen. Auch das Themenfeld Sexualität muss dabei angesprochen werden dürfen.

 

Wirkung von Prävention

Langfristige Vorbeugung durch emanzipatorische Erziehung geschieht immer im Sinne der Lebenskompetenzförderung: „Lebenskompetent ist, wer sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft, erfolgreich Probleme löst und Gefühle und Stress bewältigen kann" (BzGA, 2005, S. 16).

 

Abwertende Einstellungen, gewalttätige und sonstige entwürdigende Übergriffe dürfen nicht geduldet oder überse­hen werden, sondern müssen aufgegriffen, geklärt und als gewalttätig entlarvt werden. Eine konsequente Erziehung zur Gleichberechtigung in Verbindung mit Konfrontation bei aggressivem Verhalten (indem z. B. das aggressive Verhalten entschlüsselt wird und kompensatorische Handlungen eingefordert werden)  und einer Stärkung des Selbstwertes gerade aggressiver Jugendlicher, bewahrt davor, dass in der Folge immer wieder gewalttätiges Verhalten entsteht. Vor allem männliche Kinder und Jugendliche sollten zu mehr Gender-Sensibilität erzogen werden.

 

Ein stärkerer Fokus in den vergangenen Jahren auf dem (sexuell) aggressiven Verhalten von weiblichen Jugendlichen zeigt auf, dass dieses zwar oftmals andere Formen annimmt als bei männlichen Jugendlichen, dass sie jedoch ebenso zu beachten und zu behandeln sind.

 

Starke und selbstsichere Kinder sind weniger gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Zugleich stehen sie auch weniger in der Gefahr, aus eigener Schwä­che, Unterlegenheit oder aus Minderwertigkeitsgefühlen heraus ge­walttätig gegen Schwächere zu werden.